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Die Ambulantisierung nimmt Fahrt auf: Jetzt unternehmerisch denken
Kommentar von Nicole Wortmann, Leiterin Gesundheitsmarkt und -politik bei der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank)
Nein, es ist wirklich kein neues Thema. Deutschland kam bislang allzu langsam voran bei der Ambulantisierung. Operationen, die unproblematisch auch ambulant möglich wären, gehen hierzulande noch viel zu häufig mit einem mehrtägigen Krankenhausaufenthalt einher. Beispiel Leistenhernie: Während in anderen europäischen Ländern weniger als die Hälfte der Leistenbrüche vollstationär behoben werden, waren es in Deutschland 2019 immer noch fast 100 Prozent. Dabei sind sich die Akteure im Gesundheitswesen grundsätzlich darin einig, dass sowohl die Patienten als auch die vielfach überlasteten Fachkräfte in Kliniken profitieren, wenn ein Standard-Leistenbruch nicht tagelang Krankenhausbetten blockiert. Allein die Frage, was für Anreize stationäre und ambulante Versorger brauchen, damit tatsächlich mehr ambulant operiert wird, sorgt zuverlässig für Streit unter den Verhandlungspartnern.
Straffes Timing für hybride DRGs
Aktuell nimmt das Thema allerdings in mehrfacher Hinsicht Fahrt auf. Die Liste aller ambulant durchführbarer Eingriffe, der so genannte AOP-Katalog, ist zum 1. Januar bereits ausgeweitet worden. Ab 2024 soll er noch mehr und komplexere Operationen umfassen. 60 Millionen Euro stellen die gesetzlichen Krankenkassen für ausgewählte Leistungen zusätzlich in diesem Jahr bereit, um ambulante Eingriffe zu fördern. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem GKV-Spitzenverband zudem ein straffes Timing verordnet: Bereits bis Ende März 2023, sollen die Verhandlungspartner sich auf die Eckdaten für eine sektorengleiche Vergütung insbesondere für ambulante Operationen einigen. Gelingt das, wäre endlich die Basis für die hybriden DRGs geschaffen, die sich die Ampelkoalition im Koalitionsvertrag auf die Fahnen geschrieben hat. Gleiche Vergütung für gleiche Leistungen bei gleichen Standards, ob von Ärzten im Krankenhaus oder von Niedergelassenen sektorengleich erbracht: Das soll auch in Deutschland langfristig zum Prinzip werden.
Jetzt aktiv Chancen ausloten
Wer unternehmerisch denkt, wartet deshalb spätestens jetzt nicht mehr ab, bis noch das letzte Detail zu Hybrid-DRGs und AOP-Katalog geklärt ist. Der Zug in Richtung Ambulantisierung ist endlich mit mehr Stundenkilometern unterwegs – und es lohnt sich für alle Akteure, möglichst bald die eigenen unternehmerischen Potenziale aktiv auszuloten. Sei es als niedergelassener Mediziner oder als Krankenhaus eigene ambulante Strukturen auf- bzw. auszubauen. Auch die aktuelle Krankenhausreform wird die Zusammenarbeit zwischen den Sektoren forcieren, insbesondere im Rahmen klinisch-ambulanter Versorgung und medizinisch-pflegerischer Versorgungszentren. Positiv für sich gestalten werden die Entwicklung vor allem diejenigen, die jetzt aktiv Chancen nutzen und kreative Lösungen erproben. Beispiele dafür gibt es bereits in ganz Deutschland. Eines davon ist etwa das Brandenburgische Krankenhaus Templin, das in Kooperation mit Niedergelassenen, Kassenärztlicher Vereinigung und der Stadt Templin ein Ambulant-Stationäres Zentrum (ASZ) ins Leben gerufen hat. Seitdem fast alle Fachabteilungen der Klinik ihre Leistungen hier anbieten dürfen, ist die Zahl unnötiger Mehrtages-Aufenthalte auf den Stationen bereits um 20 Prozent gesunken.
Patientengerechte Leuchtturm-Projekte
Der Markt sortiert sich neu, wer sich optimal aufstellen will, sollte Beispiele wie Templin deshalb als Inspiration ansehen für die eigene Zukunftsplanung. Was sind geeignete Partner vor Ort, um gemeinsam bedarfs- und patientengerechte Versorgungsprojekte auf die Beine zu stellen? Wie lassen sich im kooperativen Miteinander zwischen Kliniken und Niedergelassenen die Sektorengrenzen überwinden – ohne dass einer der Partner übervorteilt wird? Das sind die Fragen, die es individuell zu beantworten gilt. Jetzt und nicht erst in ferner Zukunft. Der Zug Richtung Ambulantisierung ist unterwegs, Tempo machen damit das Gebot der Stunde.
Mehr zum Thema Ambulantisierung auch im Branchenreport Krankenhäuser 2022